Digitalisierung in der Steuerberatung – Strohfeuer oder nachhaltiger Wandel?

Digitalisierung in der Steuerberatung – Strohfeuer oder nachhaltiger Wandel? war der Titel der audiconale Konferenz, die am 22. April 2021 von der Audicon GmbH veranstaltet wurde. Alex Sieben hat als Panel-Teilnehmer seine Einschätzungen und Erfahrungen in die Diskussion eingebracht. Moderator der Veranstaltung war Jörn Poppelbaum, Chefredakteur der JUVE. Zur Vorbereitung auf die Veranstaltung hat Alex Sieben das nachfolgende Gespräch mit Jörn Poppelbaum geführt.

Was versteht SIEBEN&PARTNER unter „digitaler Strategie“?

Zunächst: Alle reden über Digitalisierung, aber jeder versteht etwas anderes darunter. Auf jeden Fall wollen alle dabei sein, aus den unterschiedlichen Motivationen heraus. Das führt zu teils blindem Aktionismus und ein solch eher opportunistischer Ansatz ohne Plan und Ziel kann nur schwer zum Erfolg führen. Mindestens aber bleibt man dabei unter den Möglichkeiten.

Ganz abstrakt würde ich sagen, dass die digitale Strategie den Rahmen setzt für den Einsatz digitaler Technologien. Und die Digitale Strategie zeigt auf, wie und an welchen Stellen sich der Kanzleierfolg durch Digitalisierung steigern lässt – sei es durch eine höhere Effizienz in den Prozessen, durch Automatisierung oder durch die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle.

Aus meiner Sicht braucht es eine robuste und durchdachte Strategie, um zu verhindern, dass ich mich in Einzelaktivitäten verzettele, was am Ende zu einem Flickenteppich digitaler Lösungen führt, die nicht ineinandergreifen. Um sicherzustellen, dass ich den bestmöglichen Erfolg erziele, brauche ich einen Plan, wie ich auf unterschiedlichen Ebenen agiere und wie ich strukturiert vorgehe.

Grob gefasst muss die Digitale Strategie drei wesentliche Aspekte beleuchten: Zum einen die Kernprozesse in der Leistungserstellung, also z.B. in der Finanz- oder Lohnbuchhaltung, zum anderen die unterstützenden Prozesse z.B. in der Personalverwaltung oder im Marketing. Und ein dritter Aspekt ist die Frage nach neuen Geschäftsmöglichkeiten bzw. Geschäftsmodellen.

Welche Überlegungen spielen für die Entwicklung einer digitalen Strategie eine Rolle?

Für mich kann eine digitale Strategie nur funktionieren, wenn sie abgeleitet ist aus einer übergeordneten Kanzleistrategie. Wenn wir angefragt werden, bei der Entwicklung einer digitalen Strategie zu unterstützen, stellen wir häufig fest, dass grundlegende Fragen nicht geklärt sind:

  • Mit welchen Mandanten wollen wir künftig – heißt in fünf Jahren – unser Geld verdienen und was erwarten diese Mandanten?
  • Wie sieht unser Leistungsportfolio künftig aus, welche „Produkte“ bieten wir an?
  • Wie positionieren wir uns im Markt / In welchem Wettbewerbsumfeld bewegen wir uns?
  • Welche quantitativen Ziele hinsichtlich Umsatz und Rentabilität haben wir?

Vielleicht brauche ich nicht auf jede Frage eine vollumfängliche Antwort, aber die Richtung muss klar sein. Denn für die digitale Strategie macht es einen Riesenunterschied, ob ich breit aufgestellte multidisziplinären Kanzlei oder spezialisierte Beratungsboutique sein möchte, um einmal zwei Extreme zu nennen.

Ganz wichtig ist natürlich auch eine genaue Beobachtung des Marktes. Ich brauche Kenntnis über Digitale Tools und deren Einsatzmöglichkeiten. Und ich muss das abgleichen mit meinen Anforderungen und Rahmenbedingungen.

Und zwei Dinge möchte ich noch nennen, die für mich zwingend dazu gehören: Das eine ist die Frage „Haben wir die richtigen Leute für unsere Strategie, was müssen wir in die Entwicklung unserer Mitarbeiter:innen investieren? Und die andere Frage betrifft die Equity-Partner ganz direkt: Wie ambitioniert sind wir, was trauen wir uns zu?

Welche Schritte braucht es, um eine digitale Strategie zu entwickeln?

Zwei Dinge sind aus meiner Erfahrung wichtig: Im ersten Schritt muss ich die individuelle Sicht und Einschätzung der Equity Partner zum Thema Digitalisierung einfangen. Neben den Zielen gehört dazu auch die Frage nach der grundsätzlichen Investitionsbereitschaft eines jeden Einzelnen. Denn ohne Investition wird es nicht gehen. Und mit dem Investitionsbegriff und der Logik dahinter, tun sich Partner in Steuerberatungsgesellschaften immer dann schwer, wenn es um das eigene Unternehmen und um das eigene Geld geht.

Im zweiten Schritt sollte es darum gehen, ein gemeinsames Zielbild für die digitale Reise zu entwickeln. Ich nehme dafür gerne den Begriff Big Picture, manche sprechen auch von einer Vision. Und dieses im ersten Anlauf vielleicht noch etwas generische Zielbild gilt es dann nach und nach zu konkretisieren und zu verfeinern. Damit habe ich dann mein „Soll“ und aus dem Abgleich mit dem „Ist“, also der Ausgangssituation kann ich Handlungsfelder ableiten. Zu dieser Diskussion gehört auch eine Priorisierung und eine Abbildung auf der Zeitleiste. Im besten Fall habe ich die berühmten Quick Wins identifiziert, die ich sofort angehen kann. Und alles andere für die Umsetzung muss dann realistisch geplant werden. Realistisch heißt für mich: Ausgerichtet an den vorhandenen Kapazitäten und Ressourcen. Spätestens an dieser Stelle sollte dann auch die Frage des „Make or buy“ geklärt werden, also: was machen wir selbst und welche Leistungen kaufen wir ein.

Die Entwicklung einer digitalen Strategie ist, wenn Sie so wollen, ein iterativer Prozess. Und der Prozess ist auch nicht zu Ende, wenn die Strategie ausformuliert ist. Sie muss fortlaufend überprüft und weiterentwickelt werden, wenn sich zum Beispiel Anforderungen auf Seiten der Mandanten ergeben, neue regulatorische Anforderungen entstehen oder der technische Fortschritt neue Möglichkeiten eröffnet.

Von wem muss die Entwicklung ausgehen?

Ich würde sagen, von dem, der eine konkrete Vorstellung hat, wie Digitalisierung sinnvoll zum Kanzleierfolg beitragen kann. In der klassischen Logik top-down geführter Unternehmen müssten das die Partner in ihrer Gesellschafter- und Unternehmerrolle sein. Ich habe aber auch verschiedentlich erlebt, dass die Initiative von den Angestellten, also bottom-up entstanden ist. Und dann braucht es mindestens einen aufgeschlossenen und affinen Partner, der das Potential erkennt und die Ideen unterstützt und vorantreibt.

Die Initiative kann auch von einem einzelnen fachlichen Bereich ausgehen, der für sein direktes Umfeld und Tätigkeitsgebiet eine digitale Strategie entwickelt. Oder nehmen Sie den Bereich der Personalverwaltung: Die Personalabteilung könnte die Idee eines modernen Personalmanagement-Systems mit digitaler Personalakte und entsprechenden digitalen Workflows vorantreiben. Aber: Ich erinnere an die Gefahr des Eingangs erwähnten Flickenteppichs. Daher sollte es mindestens einen geben, bei dem die Fäden zusammenlaufen. Das kann ein angestellter „Digitalisierungsbeauftragter“ sein, im besten Fall ist es ein Partner, der Spass an der Sache und den Potentialen hat.

Wen müssen die Partner wie und wann mitnehmen?

Es heißt ja immer so schön, dass man alle mitnehmen sollte und das stimmt ja auch. Insbesondere muss ich die mitnehmen, die zögerlich, vielleicht sogar ängstlich sind, weil sie Sorge haben, dass Digitalisierung sie im schlimmsten Fall den Job kostet. Umso wichtiger ist es, offen und transparent zu kommunizieren und die Chancen und Möglichkeiten für die gesamte Kanzlei, aber auch für jeden Einzelnen aufzuzeigen. Und aus der Erfahrung kann ist sagen, dass die Partner sich auch gegenseitig „mitnehmen“ und motivieren müssen. Denn eine echte digitale Transformation ist für alle Beteiligten sehr fordernd und kommt selbstredend immer noch on top zum sogenannten Tagesgeschäft.