Was macht eine gute Zusammenführung verschiedener Praxen zu einer gemeinsamen Einheit aus?

Interview mit Frau Prof. Dr. Heike Wieland-Blöse, Vorstandssprecherin Grant Thornton

SP: Der Zusammenschluss von Grant Thornton mit Trinavis liegt nun rund fünf Jahre zurück. Das eine sind Strategien, Ideen, Vorhaben und Pläne, das andere die Realität. Wie sehen und bewerten Sie den Zusammenschluss aus heutiger Sicht?

Heike Wieland-Blöse: Wir waren zuvor nicht mit einem Büro in Berlin vertreten. Mit Trinavis haben wir eine deutliche Präsenz in Berlin erreicht, unsere personelle und fachliche Expertise weiter ausgebaut und interessante Mandanten hinzugewonnen. Es war von Anfang an zu sehen, dass die mittelständische Kultur, der hohe Qualitätsanspruch und die Mentalität der Berliner Kolleginnen und Kollegen hervorragend zu unserer DNA passen. Das hat den Zusammenschluss mit Trinavis, d. h. mit einem Team von rund 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, deutlich erleichtert.

Dazu muss man aber auch sagen, dass die Einstellung von Trinavis passte: Die Partnerschaft von Trinavis hatte sich weit vor den ersten Kontaktgesprächen eine Strategiediskussion verordnet und sich mit möglichen Entwicklungsszenarien auseinandergesetzt. Dabei haben sie erkannt, dass der ursprüngliche Ansatz, weiter aus eigener Kraft zu wachsen, schnell an seine Grenzen führen würde. Insofern waren sie offen für Veränderung und bereit für diesen Schritt. Nach fünf gemeinsamen Jahren kann man sagen, dass die Rechnung aufgegangen ist – für beide Seiten.

SP: Sie kommen zu einer insgesamt eindeutig positiven Bewertung, deshalb unsere Nachfrage: In welcher Hinsicht gestaltete sich die Fusion schwieriger als erwartet? Was würden Sie heute anders machen?

Heike Wieland-Blöse: Ein Zusammenschluss zwischen zwei ursprünglich eigenständigen Einheiten wird – auch bei bester Vorbereitung und Planung – naturgemäß nie ganz reibungslos laufen. Wir haben darauf geachtet, erfahrene, kompetente Kolleginnen und Kollegen aus beiden Einheiten von Anfang an mit Integrationsaufgaben zu betreuen. Zusätzlich haben wir Mitarbeitende aller Karrierestufen frühzeitig mit ins Boot genommen, uns persönlich in Workshops getroffen, Orientierung gegeben, Erfahrungen ausgetauscht, gemeinsam unsere Vorgehensweisen besprochen. Wir wollten das „Beste aus beiden Welten“ und das hat funktioniert. Etwas Glück war allerdings auch im Spiel: Die Fusion fand kurz vor Corona und den anschließenden Lockdowns statt.

Was wir heute anders machen würden? Ich denke, nicht viel, denn unser Ansatz, nach Verkündung der Entscheidung für alle Mitarbeitenden präsent, nahbar und für Fragen da zu sein, war genau richtig. Solch ein Schritt löst naturgemäß eine große Verunsicherung aus, denn das eine endet, während das, was kommt, noch nicht griffig ist. Und dennoch haben wir im Fusionsprozess niemanden verloren. Wir würden also nicht viel anders machen, eher würde ich versuchen, noch offener und mutiger mit gewachsenen kulturellen Unterschieden umzugehen: entschlossen aufeinander zugehen, nachfragen, zuhören, diskutieren, keine vorschnellen Urteile bilden, das wäre meine Devise.
Wichtig ist mir zu betonen, dass ein solcher Zusammenschluss nicht nur auf einer Seite Veränderungen nach sich zieht, sondern auf beiden. Und das ist gut so, denn so entwickeln wir uns gemeinsam weiter. Dieses Verständnis ist meines Erachtens ganz grundlegend wichtig und zeigt auch die angemessene Achtung vor der Aufgabe des gemeinsamen Zusammenwachsens.

SP: Wenn der Zusammenschluss mit Trinavis sich als ein klarer Erfolg darstellt: Wie lief es bei anderen Zusammenschlüssen, zum Beispiel in Hamburg mit dem dortigen Büro von PKF Fasselt Schlage?

Heike Wieland-Blöse: Wir sind rund ein Jahr nach dem Zusammengehen mit den Berliner Kollegen auch in Hamburg anorganisch gewachsen, indem wir unsere Präsenz über das dortige Büro von PKF Fasselt Schlage erweitert haben. Auch hier war im Vorfeld entscheidend, dass wir die klare Chance gesehen haben, zusammen etwas „Größeres Gemeinsames“ zu erreichen. Unser eigener Standort war kleiner, der von PKF Fasselt Schlage deutlich größer. Dieser Vision folgend war uns zugleich klar, dass – anders in Berlin, wo wir zuvor nicht vertreten waren – zügig ein gemeinsamer Standort geformt werden muss. Dies ist notwendig, um in der Ansprache der Kunden und Mitarbeitenden klar abgestimmt aufzutreten. Insofern eine andere Grundsituation als mit Trinavis in Berlin, aber der gleiche Ansatz: die jeweils passende Lösung des Zusammengehens zu erarbeiten sowie ein starkes Commitment der Führungsriege, auf diesem Wege möglichst viele mitzunehmen. Die eine Lösung hätte nicht zur Situation der anderen gepasst. Dieses genaue Hinschauen und situative Entscheiden, was der passende Weg ist, empfinde ich als unsere Stärke und es ist meines Erachtens auch Ausdruck des Respekts vor der gemeinsamen Aufgabe.

SP: Am Anfang steht häufig die Absicht, möglichst alle mitzunehmen. Gleichzeitig muss man mit den gewachsenen kulturellen Unterschieden wertschätzend umgehen. Wie haben Sie diese Aufgabe, die gern zu den „soften Faktoren“ gezählt wird, gelöst?

Heike Wieland-Blöse: Zunächst würde ich gern festhalten, dass die sogenannten „soften Faktoren“ tatsächlich harte Faktoren sind. Beratung und Problemlösung auf unserem Niveau erfordern das integrierte Zusammenwirken von Spezialisten aus unterschiedlichen Disziplinen. Wir müssen kunden- und sachdienlich interagieren, unser Business ist ein People Business. Damit ist die Frage noch nicht beantwortet, zeigt aber ihren Stellenwert.

Wir haben so früh wie möglich Transparenz und Austausch hergestellt, und es wurde schnell erkennbar, dass die Veränderungen für die Mitarbeitenden in Summe gar nicht so gravierend waren. Auch die Unternehmenskulturen passten zusammen, das war sicherlich hilfreich. Unser „Go Beyond“-Ansatz und die damit verbundenen Werte bildeten eine stabile Grundlage, um als Team und als ein Unternehmen zusammenzufinden: Der hohe fachliche Anspruch, die Art der Zusammenarbeit mit unseren Kunden, relativ hohe Freiheitsgrade, gepaart mit früher Verantwortung – da waren wir nah beieinander, und deswegen hat es funktioniert.

Wichtig ist mir zu betonen, dass Mitnehmen zuvorderst bedeutet, sich in die Perspektive des „Mitzunehmenden“ zu versetzen. Aus dieser Perspektive kann eine Veränderung absolut stärker wirken, als sie aus einer Gesamtschau ist. Deshalb ist es hier wie in anderen Situationen wichtig, sich um eine Outside-in-Perspektive zu bemühen und über diesen Weg klar zu erkennen, wie Dinge zu erläutern und einzubetten sind.

SP: Welche harten strategischen Vorteile haben die Zusammenschlüsse in Berlin und Hamburg dem Unternehmen Grant Thornton gebracht?

Heike Wieland-Blöse: Es gibt viele Vorteile und gerne greife ich die drei mir wichtigsten heraus.

So banal es klingt, so wahr ist es gleichzeitig: Größe und Präsenz in den Metropolen sind wesentliche Faktoren. Unsere Mandanten suchen für ihre Aufgabenstellung nach der bestmöglichen Lösung, zugleich aber einen verlässlichen Ansprechpartner mit einer funktionierenden Organisation im Rücken, und das lokal, regional, national und international, je nach den Erfordernissen. Die Kunden setzen also den Maßstab. Wir als Berater und Dienstleister können uns entscheiden, ob wir uns diesen Anforderungen entsprechend aufstellen. Unsere Wettbewerber sind – die Big Four mal außen vorgelassen – Next Six. Mit ihnen messen wir uns, weil uns die Kunden daran messen.
Diese Präsenz auf der Kundenseite spiegelt sich auf der Mitarbeiterseite. Denn heute ist Employer Branding wichtiger denn je, um Mitarbeitende zu halten und neue zu gewinnen. Employer Branding korreliert mit der Wahrnehmung; die Wahrnehmung ihrerseits mit der Größe und mit der Investition in diese Wahrnehmung. Klar ist dabei, dass Employer Branding unbedingt widerspiegeln muss, was im Innenleben stattfindet. Wir stehen dafür, Mitarbeitenden Entwicklung zu ermöglichen. Unsere Unternehmensgröße bietet dies insbesondere durch die große räumliche und inhaltliche Bandbreite, die zur persönlichen Entfaltung zur Verfügung steht.

Dies führt zum dritten Punkt: Skaleneffekte. Wir stehen vor der Herausforderung, Standardprozesse weiter zu digitalisieren. Zum einen, um sie effizient ausführen und in Richtung Kunden anbieten zu können; zugleich ist dies eine Antwort auf den Fachkräftemangel. Zum anderen ist die Prozess-Schärfung Voraussetzung, um über zugehörige Datengenerierung KI wirken zu lassen. Die Investitionen in derartige Prozesse haben eine absolute Höhe, die sich nicht wesentlich unterscheidet, ob sie für eine kleinere oder eine größere Einheit getätigt werden. Heißt konkret: Für kleine Einheiten sind diese Investitionen oft zu hoch und können über Größe besser skaliert werden.

SP: Über Wachstum wird gern diskutiert, wobei klar ist, dass ohne qualifizierten Nachwuchs wenig bis nichts zu erreichen ist. Wie stellt sich Grant Thornton dieser Herausforderung?

Heike Wieland-Blöse: Ich fange mal bewusst ganz unten an. Die Organisation muss stehen. Führungsverantwortung, Rollen und Aufgaben müssen geklärt, Prozesse definiert sein, IT und Technologie – Stichwort: Digitalisierung! – müssen laufen. Wir sind in der Marktwirtschaft, jeder hat die freie Wahl, also muss unser Angebot stimmen. Dabei sehe ich unser Unternehmen als Plattform, Stichwort: Transaktionale Effizienz! Es muss leicht sein, mit uns zu arbeiten – sowohl für Mandanten als auch für Mitarbeitende. Menschen wollen sich fachlich und persönlich weiterentwickeln, haben Ziele und Wünsche, damit befassen wir uns intensiv und arbeiten an unserer Attraktivität als Arbeitgeber. Wir entwickeln uns als Unternehmen weiter, damit sich unsere Mitarbeitenden weiterentwickeln können.
Wir wollen Menschen für uns gewinnen, die Verantwortung übernehmen, sich einbringen und mitgestalten wollen, nach guten Lösungen suchen, gern ihr Wissen und ihre Erfahrungen teilen. Das ist unsere Zielgruppe. Jeder Mitarbeitende bei Grant Thornton bringt sich auf seine Weise ins Unternehmen ein; wir fördern individuell unterschiedliche Lebens- und Karriereziele. Deshalb ist bei uns gute Mitarbeiterführung und vor allem das Fordern und die Förderung der einzelnen Kolleginnen und Kollegen genauso wichtig, wie neue Kunden oder Aufträge zu gewinnen.
Unsere mittelständische Struktur unterstützt all dies sehr gut. Sie ist passend, um ausreichend Investitionsvolumen für die genannten Bereiche zu haben und um sich zugleich persönlich zu kennen. Sehen und gesehen werden ermöglicht persönlichen Entfaltungsspielraum, und den bieten wir an. Zugleich ist unser internationales Netzwerk sehr leistungsfähig, bietet Mandanten und Mitarbeitenden qualitativ hochwertige Leistungen mit einer sehr guten internationalen Abdeckung. Ich bin fest davon überzeugt, dass dieses Angebot attraktiv ist und geeignet, Persönlichkeiten an uns zu binden bzw. für uns zu gewinnen. Die Bewerberzahlen bestätigen das. Aus dieser stabilen Lage heraus bewerten wir auch künftige externe Wachstumschancen immer aus einer 360-Grad-Perspektive: mit Blick auf bestehende Strukturen sowie mit einer unternehmerischen Vision für die Zukunft.

SP: Als kleinste der Next-Six-Gesellschaften rangieren Sie auf Platz 10 der Lünendonk-Liste, aus Warth & Klein ist Grant Thornton geworden, die Mitarbeiterzahl ist inzwischen auf rund 1.900 angestiegen, der Markt dürfte auch zukünftig weiterwachsen. Mit welcher Strategie treten Sie an?

Heike Wieland-Blöse: Für uns ist Größe kein Selbstzweck, sondern vielmehr Resultat aus zwei wesentlichen Blickrichtungen: unserer eigenen Ambition, der qualitativ hochwertige Ansprechpartner für den gehobenen internationalen Mittelstand zu sein, sowie unseres Bestrebens, Mitarbeitende mit Lust auf Weiterentwicklung und Verantwortungsübernahme zu gewinnen. Qualität und Effizienz sind selbstverständlich das nachhaltige Fundament unseres Geschäftsmodells. Dies ist unser Fokus, das Ranking ist nur Folge daraus und nicht übergeordnetes Ziel.
Unser wirtschaftliches Umfeld entwickelt sich stetig weiter und erfordert, dass auch wir in Bewegung bleiben: um wettbewerbsfähig zu bleiben und unsere Positionierung als Qualitätsanbieter für den gehobenen (internationalen) Mittelstand weiter auszubauen. Unsere Strategie berücksichtigt die Erwartungen und Bedarfe unserer Kunden, die Entwicklung der Wettbewerber, neue Technologien, Regulierungen auf Marktseite sowie unser wichtigstes Asset: die Mitarbeitenden. Dabei setzen wir auf profitables Wachstum, organisch wie anorganisch.
Alle unsere Projekte, Handlungen und Aktivitäten zahlen dabei auf mindestens eine der vier Säulen unserer Strategie ein: People, Performance, Clients, Growth. Basis dafür ist unsere starke Plattform, die Mitarbeitende und Mandanten effizient verbindet. Zusammengefasst: Flexibles Denken und Handeln in einem dynamischen Umfeld zeichnen uns aus.
Unser Anspruch an die fachliche Qualität unserer Leistungen, an die Professionalität unserer Organisation und an die technologische Exzellenz wird uns die Türen zu weiteren spannenden Kunden und Mandaten öffnen. Ich würde aber gern auch etwas pragmatischer in die Zukunft blicken, heißt konkret, dass wir unsere deutschlandweite Präsenz ausbauen und vervollständigen wollen. Im Westen, Norden und Osten sind wir stark, im Süden und Südwesten werden wir unsere Marktpräsenz konsequent ausbauen.

SP: Wir bedanken uns für dieses Interview und wünschen Grant Thornton weiterhin viel Erfolg.

Über Prof. Dr. Heike Wieland-Blöse:
Prof. Dr. Heike Wieland-Blöse ist seit Oktober 2023 Vorstandssprecherin von Grant Thornton in Deutschland. Sie ist seit über 28 Jahren für die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft tätig und war bereits seit 2009 Mitglied im Vorstand mit Fokus auf Transformationsprozesse und People & Culture. Frau Wieland-Blöse berät Mandanten mit den Schwerpunkten Unternehmenstransaktionen und -bewertungen und ist Verfasserin vieler Gutachten, die öffentlich mit Grant Thornton verbunden sind. Als Honorarprofessorin lehrt sie seit 2019 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

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Das Interview wurde geführt von

Alexander Sieben

Alexander Sieben ist Diplom Ökonom und Gründungspartner von SIEBEN&PARTNER. Er war lange Jahre in einer namhaften Unternehmensberatung tätig. Dort hat er u.a. den Bereich Marketing und Vertrieb für die Mittelstandsberatung aufgebaut und war im Bereich Business Development tätig. Seine derzeitigen Beratungsschwerpunkte sind Kanzleistrategie, Kanzleimarketing sowie die digitale Transformation von Kanzleien.

Joachim Klostermann

Joachim Klostermann ist Gründungspartner von SIEBEN&PARTNER. Als Berater, Management-Trainer und Coach liegt der Schwerpunkt seiner Arbeit auf den Bereichen Kanzleistrategie, Marktbearbeitung (Business Development) und Personalentwicklung.